Montag, 29. Juli 2019

Nacht ohne Finsternis – Laponia Triathlon 2019, Gällivare, Schwed. Lappland









„Forth, and fear no darkness!“

„Errr, King, o King, Sir, which darkness?“



Eigentlich haben wir es ja gelernt, damals in der Schule. In den Deutschaufsätzen. Wiederholungsfehler, nicht immer dasselbe schreiben. Heute weiß ich: Keiner von denen war je in Lappland. Die wissen gar nichts. Niemand kann das beschreiben ohne viel zu oft das Wort „unwirklich“ zu verwenden. Tut mir leid, ist so. Also:

Laponia Triathlon. Eine winzige Veranstaltung, draußen, ganz weit draußen in Lappland, 67° Nord. Platz 2 meiner „Big 5“ der nördlichsten Langdistanzrennen meines Heimatplaneten. Platz 1, Lofoten Triathlon, habe ich 2017 geschafft, Platz 4 bis 5, Norseman und Oppland Xtreme, schon länger. Platz 3 hat letztes Jahr nicht funktioniert, da muss ich nochmal ran. Aber jetzt sind wir erst einmal in Gällivare. Man braucht ein bisschen Zeit, bis man hier ist. Flug nach Stockholm, dann 13 Stunden Nachtzug.  Wenn man da morgens aufwacht und aus dem Zugfenster sieht, traut man seinen Augen kaum. Man fährt durch eine Landschaft, die einen glauben, lässt man schliefe noch und alles wäre ein Traum. Muss man erleben, kann man nicht beschreiben. Fast hätte ich es unwirklich genannt... 

Gegend. Ohne Alles.
Von allen Besonderheiten dieses Rennens ist die Mitternachtssonne wohl die besonderste. Auch, wenn jeder weiß, dass es sie da gibt, knapp 100km nördlich des Polarkreises, ist man doch vollkommen unvorbereitet, wie es sich tatsächlich anfühlt. Es gibt keinen Morgen, keinen Abend, die ganze Zeit herrscht ein fast unwirkliches (1) Licht, als wäre es konstant kurz vor Sonnenuntergang. Da ist es natürlich Programm, dass der Start auf 0:00h gelegt wird, man bewegt sich also permanent durch die Nacht, ohne es wahrzunehmen. 
Das fängt schon auf dem Weg zum Start an. 22:30h


Das Wetter zeigt sich von der übelsten Seite, es ist kalt und regnet schon beim Check-In. Die Schwimmstrecke wurde wegen der Wassertemperatur von 13°C auf 750m verkürzt, 3°C in der Lufttemperatur machen es nicht besser. Nass ist es sowieso, das kann also nicht schlimmer werden.

Man ist auf jeden Fall froh, wenn man endlich im Neo steckt...
Ich bin schon häufig in kaltem Wasser geschwommen, 14°-16°C sind in Skandinavien ja eher die Regel als die Ausnahme, aber hier war ich das erst Mal heilfroh, dass ich nach 17 Minuten schon raus durfte.  Wer nicht rauswollte, und zwar aus dem beheizten Wechselzelt, waren alle schnelleren Schwimmer, da wärmt sich zuerst, wer zuerst kommt. Die Folge ist eine spektakulär lange Wechselzeit von über 20 Minuten. Mittlerweile lache ich darüber, aber das ist eine andere Sache, hängt mit dem zweiten Wechsel zusammen und kommt erst 7 Stunden später.

Draußen auf der Radstrecke ist es kalt und einsam. Wie gesagt, 3°C und Dauerregen. Schon bald beschäftigt mich nur noch der Gedanke, wie zum Teufel ich ohne Füße laufen soll. Ich kann aber schon so viel verraten: sie sind drangeblieben… Die Einsamkeit erklärt sich schon durch bloße Mathematik: 43 Starter auf 179 km ergeben weite Zwischenräume. Außer vor und nach den zwei Wendepunkten sieht man so gut wie niemanden.
Die Lappland-Strategie: Zieh alles an, was du mitgebracht hast! Und beeil dich... © Laponia Triathlon


Bei alldem: Diese Radstrecke! Nein, diese Radstrecke! Es ist sicher nicht die härteste im Xtreme-Zirkus, es ist nicht die steilste, die höchste, die längste. Aber noch nie, und ich meine NOCH NIE, habe ich auf dem Rad eine solch unwirkliche (2) Schönheit erlebt. Verstärkt durch das hypnotische Mittsommernachtslicht, breitet sich vor mir, hinter mir, um mich herum eine endlose, stille Wildnis aus. Ich halte Ausschau nach Rentieren und Elchen, aber außer ein paar frischen Kötteln auf der Straße sehe ich nichts. Die sind ja auch nicht so blöd, bei dem Wetter rauszugehen…

  
Zurück in T2 nach knapp 7 Stunden. Sogar hier fühlt man sich klein.

Der zweite Wechsel toppt dann alles. Gott sei Dank hat der Veranstalter einen beheizten Raum zur Verfügung gestellt. Ich brauche geschlagene 30 Minuten dafür, meine Wechseltüte müssen Helfer für mich öffnen, weil ich die Finger nicht bewegen kann. Von etwa 8 Mann, die gleichzeitig mit mir wechseln, geben 5 das Rennen an dieser Stelle auf. Überhaupt kommen nachher von 43 Starten nur 27 ins Ziel…

Mittlerweile habe ich erfahren, das auch die Laufstrecke verkürzt wird, man hat 11km, die über den Hausberg Dundret führen, gestrichen, weil der Teil bei dem Wetter zu gefährlich ist. Das ist eine Entscheidung, mit der ich absolut leben kann… Trotzdem sind es noch 31km. Ich muss zwar nur irgendwie durchkommen, wehtun kann das aber allemal.

 
Wieder im Nichts, diesmal zu Fuß. ©Laponia Triathlon / Hans Berggren Photography


Der Lauf hat es dann tatsächlich auch ohne die ausgelobte Bergwertung zum Dundret in sich. Der größte Teil verläuft über den Rallarstigen, einen historischen Weg tief im Wald. Etwa 30cm breit, genauso tief ausgetreten, voller Wurzeln und Steine. Um mich herum fast (Na? Richtig!) unwirkliche (3) Ronja-Räubertochter-Atmosphäre. Kein Mensch, kein Geräusch. Ich halte an und mache ein paar Fotos, damit man mir später glaubt… Schon eine ganze Weile kann ich nur noch gehen, die Achillessehne möchte auch mitreden. Naja, ist dann eben so, es gibt aktuell kein Zeitlimit, das ich verpassen könnte. Trotzdem beeile ich mich und pendle mich auf einen 9-Minuten-Schnitt ein, der mir am Ende einen Laufsplit von deutlich unter 5 Stunden einbringt.



Auf der Zielgeraden...
Schließlich werden es im Ziel 12:49 Stunden sein, die ich gebraucht habe. Wie so oft, habe ich unterwegs geschworen, nie wieder überhaupt Sport zu treiben und alle diesen Quatsch für immer sein zu lassen. Und wie immer ist kein Wort davon wahr gewesen. Der 13. Ironman, der zweitnördlichste der Erde, ist im Sack!

Wir Starter haben in dieser Nacht (tatsächlich, der zweite Wechsel hat zur besten Frühstückszeit stattgefunden - ich laufe mittags durchs Ziel…) echt gelitten, nicht unbedingt mehr als je zuvor, aber an der oberen Grenze davon. Niemand aber hat geleistet, was die Helfer des ausrichtenden Vereins Gällivare Endurance geleistet haben. Die sind die eigentlichen Helden, haben Verpflegungsposten bemannt, mitten in der Nacht draußen im Nirgendwo, nur gewärmt durch ein offenes Feuer, oder entlang der Schnellstraße E45, in der Gischt der vorbeirasenden LKW und Wohnmobile. 


Wir Athleten haben nur das Rennen absolviert, die Helfer aber haben uns das alles ermöglicht. Das darf keiner, der sich da draußen auf dem Rad oder irgendwo einsam im Wald selbst leidgetan hat, vergessen!


Danke Gällivare Endurance, dass Ihr tut, was Ihr tut. Danke an Laponia Triathlon für die Erlaubnis, die Bilder der wunderbaren Rennfotografen zu nutzen. Und danke an Susanne fürs immer dabei sein. Alleine könnte ich das nicht… 


Und danke fürs Lesen.

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